Sonntag, 25. September 2016

Der Circle

Wir schreiben das 21. Jahrhundert und damit das digitale Zeitalter. Mae Holland ist 24 Jahre alt und möchte mehr sein, als nur ein einfaches Mädchen ohne genaue Zielrichtung. Eine große Chance bietet sich, als das Internetunternehmen Circle sie einstellt, um an der Überwindung der Anonymität der Menschen zu arbeiten und dadurch eine vermeintlich bessere Welt zu erschaffen. Das Ziel von Circle und den drei Gründern ist eine übergreifende Plattform, die persönliche Daten einer Person in einem Account speichert, sowie Tools, die allen Menschen uneingeschränkten Zugriff zum Wissen jedes einzelnen gibt. Mae ist von dieser Idee absolut angetan und bemüht sich, einen Beitrag zu leisten, um den Circle zu vollenden. Schnell steigt sie im Unternehmen auf und wird nicht nur zu einer wichtigen Person im Circle, sondern auch zu einer der ersten vollständig gläsernen Menschen auf dem Campus und in der aktuellen Welt.



Was auf den ersten Blick einfach und unproblematisch wirkt, stellt sich in vielerlei Hinsicht zumindest als Herausforderung für Mae heraus. Sei es ihre kleine Romanze mit einem mysteriösen jungen Mann, der sie dazu verleitet, sich aus dem Rampenlicht des Circles und der Welt zu stehlen, oder ihre Eltern und ihr Ex-Freund, die nichts mit dem Monopol "Circle" zu tun haben wollen.

Beim Lesen des Buches musste ich immer wieder an Aldous Huxleys "Brave New World" und George Orwells "1984" denken. Und das nicht ohne Grund: Ging es in dem einen Buch um eine totalitäre Diktatur so erweckt der andere Roman einen Überwachungsstaat zum Leben. Dave Eggers schafft es in "Der Circle", diese beiden Bücher ins 21. Jahrhundert zu transportieren und der Handlung durch die Verbindung mit der digitalen Welt eine aktuelle Relevanz zu geben.

Die Beschreibung der Welt des Internetkonzerns selbst ist sehr eingängig. Als Leser erlebt man, wie die sogenannten Circler sich auf dem Campus bewegen und wie ihr Leben im digitalen Jahrhundert aussieht. Schnell bekommt man das Gefühl, einer von ihnen zu sein. Nicht zuletzt durch die Hauptperson Mae, die symbolisch die Mehrheit der Menschen unserer Realität darstellt. Sie ist euphorisch, weil der Circle einen neuen Weg des Lebens aufzeigt, und nervös, weil man ganz plötzlich viel von sich Preis gibt. Und genauso soll sich der Leser auch fühlen, ständig im Konflikt mit seinen eigenen Idealen und einer neuen Welt, die viele gesellschaftliche Richtlinien aushebelt oder zumindest verschiebt.

Ich war hin und her gerissen, nachdem ich das Buch beendet hatte. Und bin es immer noch. Will ich eine vollkommene Transparenz meiner selbst? Oder führt eben dieser Vorgang zu teilweisen Zerstörung der eigenen Persönlichkeit? Einerseits wäre ich froh, alle meine Daten auf einem Blick zu haben und mir dadurch nicht jedes kleine Detail zu meinen Accounts merken zu müssen. Zudem birgt ein solcher Datenpool für zahlreiche Zielgruppen, z.B. chronisch-kranke Menschen, viele Vorteile. Könnte durch die komplette Auswertung von Patientenakten Asthma geheilt werden? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Krebs und bestimmten Lebensmitteln? Es klingt zu schön, um wahr zu sein.

Doch andererseits wüssten alle Personen immer über mich Bescheid und es gäbe keinen Raum mehr für Geheimnisse. Jeder müsste sein Wissen, seine Gedanken und sogar seine Gewohnheiten öffentlich machen. Möchte ich wirklich auf Schritt und Tritt von anderen verfolgt werden? Verändert sich dadurch nicht auch mein Benehmen gegenüber anderen, weil ich Angst habe, sie könnten meine Schwächen und Vorlieben gegen mich verwenden? Und was bedeutet das für Momente der Zweisamkeit oder der Trauer, die man lieber mit sich selbst ausmachen möchte?

Ich kann dieses Buch all denen empfehlen, die sich dem Internet verschrieben haben. Die sich im World Wide Web bewegen und trotzdem am analogen Leben teilnehmen. Aber auch allen Skeptikern kann ich diesen Roman nur wärmstens empfehlen, vielleicht um sich vom Gegenteil zu überzeugen, vielleicht um eine neue Perspektive zu erkennen. Alles in allem ist das Buch ein Verweis darauf, wohin sich die Gesellschaft entwickeln könnte, wenn die digitalen Medienunternehmen weiter die Marschrichtung vorgeben.

Der Circle - Dave Eggers
Taschenbuch: 560 Seiten
Kiwi Verlag, Köln. 2015
ISBN: 978-3-462-04854-4

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